Tierfund-Kataster: Unterschätzte Datenquelle für Arten- und Verkehrsschutz

Ein deutschlandweites Kataster erfasst Wildtiere, die dem Straßenverkehr zum Opfer fallen. Jetzt stehen die Daten auch international zur Verfügung – und liefern wertvolle Erkenntnisse für Forschung und Schutzmaßnahmen.
Am Anfang stand ein praktisches Problem: Immer wieder kam es auf bestimmten Landstraßen zu Wildunfällen, doch belastbare Daten fehlten. Was war Zufall, was Muster? Und wie ließe sich das Risiko senken – für Mensch und Tier?
In Schleswig-Holstein begann der Deutsche Jagdverband (DJV) zusammen mit der Universität Kiel bereits 2011 damit, zu Tode gekommene Tiere systematisch zu erfassen. Daraus entwickelte sich das vom DJV getragene, bundesweite Tierfund-Kataster – heute eines der umfangreichsten Citizen-Science-Projekte zur Erfassung von Wildtierverlusten in Deutschland. Mehr als 110.000 Totfundmeldungen von Rehen, Wildschweinen, Igeln, Füchsen oder Waschbären sind mittlerweile im System hinterlegt – punktgenau verortet und größtenteils artgenau bestimmt.
Wichtige Datengrundlage für besseren Wildtierschutz
Nun sind Informationen zu ausgewählten Arten erstmals auch über die internationale Biodiversitätsplattform GBIF (hier geht es zum Datensatz des Katasters) sowie den Lebendigen Atlas der Natur Deutschlands (LAND; hier geht es zum dortigen Datensatz) verfügbar. Möglich wurde dieser Schritt durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Jagdverband (DJV), dem Landesjagdverband und dem Team des Lebendigen Atlas der Natur Deutschlands innerhalb von NFDI4Biodiversity. Beteiligt waren dabei Mitarbeitende des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin – allesamt Teil des NFDI4Biodiversity-Partnernetzwerks. Verstärkung erhielten sie zudem von der Universität Kiel, die das Projekt wissenschaftlich begleitet und das Datenmanagement koordiniert hat.
Die neue Verfügbarkeit hat weitreichende Folgen: Forscher:innen, Behörden und Umweltplaner:innen können die Daten nun einfach in bestehende Analysen und Anwendungen integrieren. Das Kataster zeigt nicht nur, wo welche Tiere am häufigsten verunglücken, es liefert auch Hinweise auf saisonale Muster sowie auf Barrieren in der Landschaft – insbesondere durch Verkehrsinfrastruktur wie Straßen und Zäune, aber auch durch Windkraftanlagen – und auf Regionen mit besonderem Handlungsbedarf.
"Die Daten liefern nicht nur wertvolle Erkenntnisse für die Forschung, sondern schaffen auch eine Grundlage für gezielte Schutzmaßnahmen – zum Beispiel zur Vermeidung von Wildunfällen."
Franziska Baudach, Referentin für Wildökologie und Wildtiermonitoring beim Deutschen Jagdverband
"Mit der Integration in GBIF haben wir einen wichtigen Schritt getan, um Informationen über Wildtiervorkommen und deren Gefährdungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen", sagt Franziska Baudach, Referentin für Wildökologie und Wildtiermonitoring beim DJV. "Die Daten liefern nicht nur wertvolle Erkenntnisse für die Forschung, sondern schaffen auch eine Grundlage für gezielte Schutzmaßnahmen – zum Beispiel zur Vermeidung von Wildunfällen."
NFDI4Biodiversity leistet Datenharmonisierungshilfe
Gemeldet werden die Tierfunde per App oder Webformular – meist von Jäger:innen oder naturinteressierten Bürger:innen. Was sie eintragen, wird standortgenau und einheitlich erfasst und zentral gesammelt. Entstanden ist so über die Jahre eine bundesweit einzigartige Datengrundlage zu tierischen Verkehrsopfern und anderen Totfunden in Deutschland.
Dass diese Informationen nun über standardisierte Schnittstellen auch in übergeordnete Forschungsinfrastrukturen eingebunden sind, ist Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit: NFDI4Biodiversity hat hier nicht nur bei der technischen Umsetzung unterstützt, sondern auch Standards etabliert, mit denen sich die heterogenen Datensätze harmonisieren und langfristig nutzbar machen lassen. Für die Community ist das Projekt damit nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch ein Vorbild: Es zeigt, wie Bürgerwissenschaft, Umweltmonitoring und Forschungsdateninfrastruktur zusammenwirken können – und wie sich aus lokal erhobenen Beobachtungen belastbare Informationen für größere Kontexte ableiten lassen.
Relevanz weit über die Forschung hinaus
Die Einsatzmöglichkeiten der Daten sind vielfältig: Sie können etwa in der Raum- und Verkehrsplanung genutzt werden, um Konflikte mit den Lebensraumansprüchen von Wildtieren frühzeitig zu erkennen – beispielsweise bei der Planung von Grünbrücken oder Zäunungen, bei der Prävention von Wildunfällen, bei der Früherkennung von Tierseuchen wie der Afrikanischen Schweinepest oder beim Monitoring invasiver Arten.
Über eine automatische Schnittstelle werden beispielsweise Wildschweinmeldungen aus dem Kataster direkt an das Friedrich-Loeffler-Institut weitergeleitet.
Auch in der Biodiversitätsforschung sind die Daten inzwischen gefragt, etwa zur Modellierung von Verbreitungsgrenzen, zur Bewertung anthropogener Einflüsse oder zur Identifikation von Korridoren zwischen Lebensräumen. Besonders wertvoll ist dabei die enge Verknüpfung mit anderen Umwelt- und Geodaten, wie sie durch die Anbindung an GBIF und den Lebendigen Atlas möglich werden: Erst im Zusammenspiel mit Informationen zu Landnutzung, Lebensräumen, Klimabedingungen oder Schutzgebieten lassen sich Muster erkennen, Risiken bewerten und fundierte Schlussfolgerungen für Forschung und Naturschutz ziehen.
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